Privat, Presse, werblich?

 
Wednesday, 11.10.2017

Mitte September lud die gefragte Fotocommunity EyeEm zu einem Festival nach Berlin ein. Inspirierende Präsentationen, Portfolio-Reviews und Workshops lockten nationale wie internationale Fotografen, Werber und Agenturen. Auch wir von den Bildbeschaffern waren vor Ort und diskutierten ein heikles wie hochaktuelles Thema in Sachen Bildrecht: Ab wann wird ein Privatbild zum Pressefoto? Worauf ist zu achten, wenn ich ein privates Bild veröffentlichen möchte? Und welche Aufnahme sollte lieber privat bleiben? Für diejenigen, die es nicht nach Berlin geschafft haben, gibt es hier eine Zusammenfassung unseres Vortrags:

Juli 2017 in Hamburg. Presse, Polizei und auch Privatpersonen fotografieren und filmen während des G20-Gipfels zahlreiche Ausschreitungen. Auch Knut* aus Hamburg (*Name geändert) richtet sein Smartphone auf das Geschehen und filmt einen Wasserwerfereinsatz im Schanzenviertel, direkt im Herzen des Gefechts. Dabei bedient er sich moderner Mittel der Bildübertragung und stellt den Film direkt auf die Plattform Periscope – eine mobile App für Videoübertragung in Echtzeit. 1500 Zuschauer verfolgen das Geschehen live, Knut wunderte sich über so viel Publikum.

Eine Stunde später. Auf einem Dach steht eine Menschenmenge und bewirft Polizisten mit Steinen und die einen sagen: Molotowcocktails, die anderen sagen: kleine Böller. Knut befindet sich ganz nah am Geschehen, filmt erneut. Später wird die Szene als Höhepunkt der Gewalt in die Geschichte des Hamburger G20-Gipfels eingehen, inklusive SEK-Einsatz, um die Lümmel vom Dach zu holen. Knut aber filmt die Stürmung, lädt das Material nicht auf Periscope hoch.

Screenshot aus "Knut"s Video zum SEK Einsatz, das nicht veröffentlicht wurde. Besser so.
Screenshot aus "Knut"s Video zum SEK Einsatz, das nicht veröffentlicht wurde. Besser so.


Ein kluger Entschluss, hatte die Polizei die Bevölkerung doch darum gebeten, nicht alles direkt online zu stellen, um Menschen nicht zu gefährden. „Schickt es lieber uns", so der Appell, „damit wir es auswerten können." Nicht alle haben sich an den Aufruf gehalten und stattdessen ihre Filme und Fotos von den Steinewerfern unmittelbar nach dem Entstehen auf allen möglichen Kanälen der sozialen Netzwerke veröffentlicht. Am nächsten Tag prangten einige der Bilder auf der Titelseite der BILD, dazu ein Fahndungsaufruf, der eigentlich der Polizei vorbehalten sein sollte: „Wer kennt diese G20-Verbrecher?"

Das Vier-Augen-Prinzip

Knut hat einen klugen Entschluss getroffen. Er hat unmittelbar vor Ort Grenzen ausgelotet, abgewägt und mit der Nicht-Veröffentlichung des Videos mit Bedacht gehandelt. Ein Vorgehen, wie es zu den täglichen Aufgabengebieten von Medien, insbesondere Pressebildagenturen gehört. „Zur Arbeit einer Pressebildagentur gehört eine unglaubliche Sorgfaltspflicht", so Heike Betzwieser, Head of Content bei der Picture Alliance. „Von Agenturen wie dpa, ap und Reuters bekommen wir korrekt beschriftete Bilder, die versuchen das Geschehen so objektiv wie möglich zu zeigen. Leichen und brutale Gewalt sind dabei ebenso tabu wie Bilder, die Personen in peinlicher Pose zeigen oder Menschen verunglimpfen. Daher legt die dpa viel Wert auf das Vier-Augen-Prinzip. Alle Bilder werden vor der Veröffentlichung von einem Redakteur gesichtet." Das Vier-Augen-Prinzip dient unter geschulten Journalisten als Filter, der auch Fake-News – oder in diesem Falle Fake-Fotos – verhindern soll. Es besagt, dass wichtige Entscheidungen, wie beispielsweise die Veröffentlichung eines kritischen Bildes, nicht von einer Einzelperson allein getroffen werden sollen.

Pressebildagenten wie die dpa sind mit ihrem professionellen Blick und dem Vier-Augen-Prinzip eine wichtige Instanz in den Medien. So kann verhindert werden, dass Fake-Fotos in die Hände von Redakteuren und anschließend an die Öffentlichkeit gelangen. Wie unbedarft manch Agentur dennoch mit Bildern umgeht, die ihnen zur Verfügung gestellt werden, zeigt das jüngste Beispiel eines angeblich brasilianischen Fotografen, dessen Fotografenexistenz sich später als Fake entpuppte. Der 32-Jährige Surfer stellte sich als Eduardo Martins bei einer brasilianischen Bildagentur per Mail vor – kein Mitarbeiter der Agentur hat je mit ihm gesprochen, telefoniert oder ihn gar gesehen. Als junger Mensch, der gerade seine Leukämie bekämpft hat, will er als Kriegsfotograf in die Krisengebiete der Welt reisen. Mit Erfolg: mehr als 100.000 Follower bei Twitter, 60.000 bei Instagram – und die Agenturen und Nachrichtenseiten der Welt teilen seine Bilder. Was niemand wusste und kaum einer ahnte: Die Bilder sind von anderen Fotografen geklaut worden. Der vermeintliche Kriegsfotograf hat sie zunächst gekontert, sodass sie über die Google-Bildersuche nicht als Fake entlarvt werden konnten, und dann in die Welt hinausgeschickt.

Auch im Bereich Bewegtbild sind Fakes immer weniger auszuschließen. Wie leicht man Videos fälschen kann, zeigt während des EyeEm Festivals ein Vortrag zu den Themen künstliche Intelligenz und Fake News. Als Beispiel führt Redner Ramzi Rizk, einer der Gründer von EyeEm, ein Video an, anhand dessen Wissenschaftler kürzlich aufgezeigt haben, wie mit einer Technik aus dem Bereich der künstlichen Intelligenz Lippenbewegungen anhand von Audiodateien nachgestellt werden können. Algorithmen haben dem ehemaligen amerikanischen Präsidenten Barack Obama in vier unterschiedlichen Interviewszenen die Lippen so angepasst, dass es aussieht, als würde er die Worte tatsächlich in diesem Moment von sich geben.

Wie wird ein Bild zum Pressebild?

Doch zurück zum Thema. Während die Bildagentur Reuters noch vor zehn Jahren mit der Zahl 2 Minuten 38 Sekunden einen damals legendären Rekord aufstellte – so lange brauchte es vom Auslösen der Kamera eines Fotografen bis zum Runterladen des Bildes durch den Kunden – kann eine Aufnahme heute per Mausklick oder Tippen auf den Smartphone-Bildschirm im Bruchteil einer Sekunde veröffentlicht werden. Nach bedachter Veröffentlichung klingt das nicht gerade. Wer als Privatperson ein Bild veröffentlichen möchte, sollte folgende Punkte beachten:

(1) Habe ich das Vier-Augen-Prinzip berücksichtigt (im Idealfall durch die geschulten Augenpaare von Agenturmitarbeitern)?

(2) Habe ich den Pressekodex beachtet? Insbesondere folgende journalistisch-ethische Grundregeln sind auch als Privatperson zu beachten:

→ Wahrhaftigkeit und Achtung der Menschenwürde der abgebildeten Personen

→ Sorgfalt

→ Wahrung der Persönlichkeitsrechte

→ Verzicht auf unangemessen sensationelle Darstellung von Gewalt und Leid

(3) Welche Geschichte verbirgt sich hinter meinem Bild? (Erzählen Sie die Geschichte mithilfe von Metadaten und einer aussagekräftigen Bildbeschreibung.)

Anders als ein Twitter-Nutzer, der im vergangenen Jahr einen Amokläufer in München live filmte und das Video hochlud, noch bevor die grausame Tat ein Ende hatte, hat sich Knut aus Hamburg dagegen entschieden, sein Video von den Ausschreitungen beim G20-Gipfel als Livestream zu veröffentlichen. Zwei Mediennutzer, zwei mögliche Umgangsformen. Fest steht zumindest eines: Ein öffentlicher Fahndungsaufruf steht laut Strafprozessordnung stets unter einem Richtervorbehalt.


Veröffentlicht am Wednesday, 11.10.2017 06:10
Kategorien: Thema des Monats EyeEm Privatfotografie Pressefotografie kommerzielle Fotografie

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