Back to the Roots!
Wir schreiben das Jahr 1826. Joseph Nicéphore Niépce nimmt das erste Foto der Welt auf. Am 19. August 1839 wird schließlich die sogenannte Daguerrotypie der Öffentlichkeit vorgestellt: ein Verfahren, mit denen Bilder langfristig festgehalten werden können. Die analoge Fotografie ist geboren – und weiß damals nichts von ihrem Glück, analog zu sein.
Wir schreiben das Jahr 2022. Längst sind wir im digitalen Zeitalter angekommen, die Zahlen sprechen für sich. 100 Millionen Fotos werden allein auf Instagram täglich hochgeladen. Das für September angekündigte neue iphone 14 Pro soll eine Kamera mit 46 Megapixeln beherbergen. Und modernste Technik wie das James-Webb-Teleskop liefert Weltraumaufnahmen mit einer spektakulär hohen Auflösung. Die analoge Fotografie scheint endgültig der Vergangenheit anzugehören – oder?
Totgesagte leben bekanntlich länger – und die analoge Fotografie war so eine Totgesagte, immer und immer wieder. Schon in den Neunzigerjahren gab es erste Abgesänge auf ihr Leben. 1991 kam die erste Kamera mit digitaler Bildspeicherung auf den Markt, die für die private Nutzung gedacht und auch bezahlbar war. Als Kodak nach 130-jähriger Firmengeschichte 2012 Insolvenz anmeldete, war für viele das Ende des Fotofilms besiegelt. Und als die kleinen Taschenkameras der Smartphones erstmalig hochaufgelöste Fotos aufnehmen konnten, mit denen Apple ganze Werbewände plakatierte, war das Grab für die analoge Fotografie in den Augen vieler vollends geschaufelt – und das der digitalen Spiegelreflexen gleich mit. Tatsächlich vegetierte die Analogfotografie lange Zeit vor sich hin, es gab zwar Fotoclubs und Nostalgiker, spezielle Flohmärkte für Analogliebhaber und Menschen, die noch Filme im Kühlschrank lagerten. Doch so richtig erfolgreich war die analoge Fotografie noch nicht in ihrem Vorhaben, sich ihre Daseinsberechtigung zurückzuerobern. Die Betonung liegt auf „noch“. Denn glücklicherweise gibt es in der Fiktion wie auch in der Fotowelt das Phänomen des Wiedergängertums. Und so erlebt die Analogfotografie derzeit eine Renaissance. Der Run auf analoge Kameras ist groß. Erst kürzlich wurde das Modell No. 105 der Leica-0-Serie für den Rekordpreis von 14,4 Millionen Euro versteigert, analoge Kollektive verzeichnen wieder mehr Neuzugänge, es gibt ganze Festivals, auf denen das Analoge gefeiert wird und auf Flohmärkten gehen analoge Kameras vermehrt auch unter jungen Menschen besser weg als geschnitten Brot, Pokémonkarten oder Handtaschen. Das erlebt auch Michael Koch, Bildredakteur und Fotograf beim Magazin GEOlino. „Ich hab ja eine Fotovergangenheit, in der das Leben noch silberhaltig war“, erzählt er. „Kürzlich hatte ich einen Stand auf dem Flohmarkt und es waren nicht etwa alte Herren, die Interesse an meinen analogen Kameras hatten, sondern in erster Linie junge Frauen.“ Während die Verkäufe von Digitalkameras zurückgehen, steigt die Nachfrage nach analogen. „Die junge Generation ist dabei viel radikaler geworden“, so Koch. „Da entsteht eine völlig eigene Bildsprache – mit Fotos, die wir früher direkt aussortiert hätten.“
Ein Vertreter der jungen Generation ist David Altrath. Wenn er nicht gerade als Bildredakteur und Fotoproduzent für Cosmopolitan Deutschland arbeitet, greift der Wahlhamburger am liebsten zur analogen Kamera und widmet sich der Architektur- und Landschaftsfotografie. „Neben der hohen Dynamik ist die Farbgebung ein wichtiger Punkt, warum ich die analoge Fotografie so spannend finde“, erzählt der 27-Jährige. „Die Farben unterschiedlicher Filme sind einfach einzigartig und schaffen ein harmonisches, fast gemäldeartiges Abbild der Realität. Durch das Korn bekommt das Bild eine weitere natürliche Patina.“ Authentischer als eine digitale Bildbearbeitung sei es allemal. Und man arbeite gewissenhafter. Immerhin sei die Fotografie auf Film ein kostspieliges Vergnügen und die Filmrolle begrenze einen auf meist 36 Bilder. „Die Preise für analoge Filme und deren Entwicklung sind extrem gestiegen“, sagt Altrath und zieht einen Vergleich zur Schallplatte und Spotify: „Da stehen Haptik und ein emotionaler und materieller Wert auf der einen und eine günstige, unlimitierte Verfügbarkeit auf der anderen Seite.“ Ein entsprechendes Labor hat er auch schon gefunden. Während viele Labore meist nur veraltete Methoden der Digitalisierung anbieten, hat sein Lieblingslabor Silbersalz35 hochmoderne Technik im Einsatz, mit denen sie analoges Filmmaterial scannen und es für einen digitalen Workflow als hochwertige RAW-Scans in hoher Auflösung vorbereiten. „Jedes einzelne Bild wird von den Jungs nach dem Scannen farbkorrigiert“, zeigt sich Altrath begeistert. „Außerdem bieten sie als einziges Labor Kodak Vision3 Filmmaterial an, mit dem in Hollywood analoge Filme gedreht werden.“
Auf die Wertigkeit bei der analogen Fotografie weist auch Johannes Huwe explizit hin. Auch er zieht den Vergleich zur guten, alten Vinylplatte: „Manchmal denke ich, die analoge Fotografie ist gerade ein Trend, sie ist hip und für viele ist es cool, als Accessoire eine analoge Kamera um die Schultern hängen zu haben“, so der Fotograf, der seit Jahrzehnten schon ausschließlich analog fotografiert. „Du hörst den ganzen Tag Spotify – wenn du aber ein besonderes Hörerlebnis haben möchtest, dann legst du dir eine schöne Schallplatte auf.“ Für ihn selber ist die analoge Fotografie weit mehr als nur ein Trend. Der weltweit bekannte Fotograf arbeitet schon seit den Achtzigerjahren analog. Immer wieder konnte er seine Kunden durch den einzigartigen Look überzeugen, allen voran Porsche. „Selbst wenn es Tausende digitale Filter gibt, die den analogen Look imitieren – es ist einfach nicht dasselbe“, ist der Vintage-Liebhaber überzeugt. „Außerdem bin ich der Meinung, dass eine analoge Kamera dabei hilft, mehr über das einzelne Bild nachzudenken. Quantität schafft ja nicht gleich Qualität. Allein der Bildschirm auf der Digitalkamera lenkt mich zu sehr ab. Man verliert den Fokus auf den Menschen oder das Objekt vor sich. Mit meiner Analogkamera kann ich mich viel intensiver und fokussiert auf das einlassen, was ich fotografieren möchte.“ Wenn er nicht gerade mit seiner Leica M2 fotografiert, sondern mit der Mittelformatkamera in der Landschaft steht, muss er bei nur zehn Bildern hochkonzentriert bei der Sache sein – ein Reiz, den er nicht missen möchte. „Gerade große Konzerne wie Porsche suchen neue Wege, einen coolen Look, eine emotionale Bildsprache.“ Analoge Fotografie und Storytelling würden da wunderbar zusammenpassen. Wer sich länger mit Johannes Huwe unterhält, spürt schnell: Sein Herz schlägt durch und durch analog, es ist mehr als ein Beruf, es ist eine Lebenseinstellung in einer Zeit, in der alles schnelllebiger wird, jedes Jahr unzählige Kameras auf den Markt geworfen werden und das Wort Wegwerfgesellschaft fest in unserem Wortschatz verankert ist.
Auch jenseits dieser Einzelbeispiele lässt sich festmachen: Die analoge Fotografie erlebt eine Renaissance. "Film is not dead" titelte die Deutsche Welle im vergangenen Jahr und spielt damit an auf einen Social-Media-Hashtag, hinter dem allein auf Instagram mehr als 20 Millionen Fotos zu finden sind. Im selben Artikel verweist der Autor auf den US-amerikanischen Fotografen Jason Kummerfeldt und dessen unter Analogenthusiasten sehr beliebten YouTube-Kanal grainydays. Hier holen sich Zehntausende Analogis Anregungen und Inspiration. Auch hierzulande gibt es mehr und mehr Menschen, die sich der kreativen Techniken und der Haptik des Analogen zuwenden, sei es um Blaudrucke (sogenannte Cyanotypien) zu fertigen oder Schwarzweiß-Filme mit Kaffee zu entwickeln. Und dann gibt es da noch die Fotofestivals. Vielleicht kennen Sie das analogueNOW-Festival? Analog dazu – im wahrsten Sinne des Wortes – feiert das Rotlicht Festival in Wien noch in diesem Jahr die Analogfotografie. In Finnland gibt es sogar ein eigenes Darkroom-Festival. Auch die New Yorker Künstlerin Galina Kurlat hat dort im Frühjahr ihre Bilder ausstellen dürfen. Wir erreichen Sie in Ihrem Atelier in Brooklyn und sprechen mit ihr über den Reiz des Analogen. Kurlat schwärmt vom verborgenen Bild, das in der Dunkelkammer zum Vorschein kommt, von der überraschenden Wirkung des Sonnenlichts auf Silbergelatinepapier, von der langsamen Veränderung eines unsachgemäß behandelten Negativs, das etwas gänzlich Neues entstehen lässt. Das Unikat als Schlüsselreiz.
Nicht nur die Analogfotografie an sich findet immer mehr Zulauf beim Fotonachwuchs. Auch Zusammenschlüsse erleben eine kleine Renaissance. Was früher der Fotoverein war, ist heute das Kollektiv. Das Analogkollektiv zum Beispiel. Oder auch der Club Fotografie Berlin e.V. An die 30 Mitglieder zählt der Verein und es wären viel mehr, wenn es nicht bisweilen einen Aufnahmestopp gäbe. „Wir haben mehr Anfragen als dass wir Leute reinlassen können“, erzählt uns Andreas Stückl, selbst passionierter Analogfotograf und seit zehn Jahren mit dabei. Es gibt einen Raum für Meetings, zwei Arbeitsplätze, ein Labor und eine eigene Dunkelkammer. Auch Stückl zieht nach nur wenigen Minuten Gespräch den Vergleich zwischen der analogen Kamera und dem Plattenspieler. „In unserer schnelllebigen, digitalen Welt hat die analoge Fotografie etwas Entschleunigendes. Es ist spannend, wie viele junge Menschen bei uns mitmachen wollen“, so der Vereinsvorsitzende. „Es geht zurück zum echten Handwerk. Dabei kommt es gar nicht in erster Linie auf die Kamera an. Der Markt ist ja geschwemmt von Analogkameras. Wenn man sein Auge gut schult und gut darin ist, die eigenen Bilder zu entwickeln, kann man auch aus einer simplen Canon AE-1 tolle Bilder herauskitzeln.“
Ob Fotoclubmitglied oder Festivalbesucherin, Flohmarktfreundin oder Filmfetischist – das Wiedergängertum der analogen Fotografie hat viele Gesichter und noch mehr Gründe. Wann haben Sie das letzte Mal zur analogen Kamera gegriffen und warum? Schreiben Sie uns – oder besuchen Sie uns gern auch mal wieder ganz analog!
Artikel: jk
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