Der Wert des Bildes: Innovation

 
Wednesday, 18.08.2021

Wie funktioniert Innovation auf dem Bildermarkt? Werden neue Wege und experimentelle Projekte belohnt oder setzt sich am Ende doch nur wieder der Einheitsbrei durch? Was ist die größte Triebfeder, was ist das größte Hindernis für innovative Technik und Bildsprache? In unserem Tea Time Talk no. 3 diskutiert Florian Sturm mit drei Expertinnen und Experten aus der Bilderbranche.

Mit dabei ist Michael Pfister. Er arbeitet seit über 15 Jahren im visuellen Bereich verschiedener Medien, war Mitglied der Fotoagentur Laif, kam 2016 zu ZEIT Online, wo er die Bildredaktion leitete und momentan als Redakteur für besondere Aufgaben angestellt ist. Dem Wettbewerb, der auf dem Bildermarkt herrscht, kann er durchaus etwas Positives abgewinnen: „Medienunternehmen müssen sich überlegen, wie sie standhalten und wie sie den neuen Sehgewohnheiten Rechnung tragen. Die Technologie ist im Alltag nicht mehr wegzudenken. Wir sollten neue Wege finden, wie wir sie sinnvoll einsetzen können und sie nicht als Schreckgespenst betrachten.“

Dem stimmt Kerstin Mende zu. Seit 2004 leitet sie bei der renommierten Agentur Scholz & Friends als Head of Artbuying die Standorte in Hamburg, Berlin, Düsseldorf, Zürich und Brüssel. Seit dem vergangenen Jahr arbeitet die Agentur mit dem US-amerikanischen Anbieter vmly&r zusammen, der sich darauf spezialisiert hat, Kreativität, Marketing und Technologie zusammenzubringen. „Durch die innovativen Impulse erweitern wir unser Portfolio in großem Maße und sind in der Lage, auf alle technischen Neuerungen zuzugreifen.“ Dennoch bleibt Technik für sie ein Hilfsmittel. „Am Ende ist es mir egal, ob das Bild analog entstanden ist, mit technischen Finessen oder möglicherweise gänzlich digital oder als 3D. Am Ende ist es ja das Ergebnis, das zählt.“

Auch für Julia Steinigeweg ist die Technik in erster Linie Mittel zum Zweck. Die freie Fotografin arbeitet für Medien wie Spiegel, Stern, Zeit oder das SZ Magazin und hat zudem zwei Bildbände mit eigenen künstlerischen Fotografien veröffentlicht. „Zunächst ist da ja die Frage, wen wir erreichen wollen. Dann können wir schauen, welche Techniken wir dazu nutzen. Während ich bei meinen freien Arbeiten weder einen Kunden noch eine Leserin im Hinterkopf habe, sieht es in der redaktionellen Fotografie anders aus. Hier zerbreche ich mir natürlich auch den Kopf der Redaktion und Bildredaktion mit.“ Innovation beginnt für sie dann, wenn sie über die bloße Bebilderung von Text hinausgehen und konzeptioneller denken kann. „Da kann man ruhig noch mutiger werden.“

Diesen Mut zu mehr Subjektivität bescheinigt Michael Pfister vielen Studienabgängerinnen und -abgängern im skandinavischen Fotojournalismus. „Bei Assignments arbeite ich gern mit jungen Menschen zusammen, die den Mut haben, etwas Neues auszuprobieren.“ Viele Medien aber griffen auf das Material von Fotoagenturen zurück, sodass der Einfluss auf eine innovativere Bildsprache oder einen eigenen Look oft geringer ausfalle als man es sich wünschen würde. „Natürlich spielen auch das Auge und der Edit des Bildredakteurs eine große Rolle. In manchen Redaktionen dauert es mehrere Jahre, bis man ein Verständnis für eine subjektivere Fotografie, Bildauswahl und Fotosprache findet.“

Soziale Netzwerke als Recherchetool und Publikationsplattform

Wenn Kerstin Mende auf der Suche nach neuen Impulsen ist, blättert sie durch Bildbände, besucht Fotomessen und Ausstellungen, schaut in Newsletter von Agenten und Agenturen oder ins eigene Archiv. Aber auch soziale Medien wie Instagram sind für die Art Buyerin – ebenso wie für den Bildredakteur – ein Recherchetool. „Die ZEIT und ZEIT Online gestalten zusammen einen Instagram-Account. Es ist schön zu sehen, dass wir eine Plattform haben, auf der wir Geschichten in Bildern erzählen können und nochmal ein anderes Publikum erreichen, nämlich eines, das vielleicht kein Abo hat oder gar nicht mehr am Desktop unterwegs ist, sondern mobil und schnell.“ Für seine eigene Recherche bezeichnet er Instagram als eine Art Teaser, der einem im besten Falle neueste Trends und frische Perspektiven auf den Schreibtisch wirft.

Und wo holt sich die Fotografin selbst ihre innovativen Ideen? „Bei meinen freien Arbeiten finde ich in der Literatur und in der Kunst oft einen fruchtbaren Boden für Bildideen“, erzählt Julia Steinigeweg. „Instagram ist für mich ähnlich wie für Kerstin oder Michael ein Portal, das Türen öffnet, von wo aus man dann tiefer eintauchen kann.“ Hier lernt sie auch immer wieder Menschen kennen, mit denen sich hin und wieder eine Zusammenarbeit ergibt.

Mehr Mut zu einer unkonventionellen Bildsprache

Um ihre experimentelle, kreative Seite mehr ausleben zu können, wünscht sich Julia vor allem eines: mehr Zeit bei den Fototerminen. „Erst heute habe ich es wieder erlebt: die Textredakteure hatten zwei Stunden Zeit für ihre Fragen, mir blieben am Ende 30 Sekunden fürs Bild. In solchen Momenten ist es egal, was ich mir zuvor überlegt habe. Das ist einfach nur schade.“ Zudem wünscht sie sich mehr Mut seitens der Redaktionen, sodass auch unkonventionelle Bildsprachen vermehrt Eingang finden in Publikationen. „Das ist ein schwieriger Kampf“.

Ein Kampf, den auch Kerstin Mende kennt. „Bei Scholz & Friends gibt es viele Auflagen seitens des Kunden, sodass wir in einem engen Korsett stecken. Der Kunde möchte meist die volle Kontrolle innehaben – vom Casting über die Location hin zum Color Coding wird nichts dem Zufall überlassen. Wir sind aber mehr und mehr dabei, den Kunden davon zu überzeugen, mutiger zu sein und uns mehr Verantwortung zu überlassen.“ – „Das ist im redaktionellen Bereich genauso“, wirft Michael Pfister ein. „Wir sollten uns von Beginn an mehr Zeit nehmen, einander zuzuhören, bevor wir losrennen, um das Bild zu machen. Wenn man Wandel will, muss man Überzeugungsarbeit leisten, leidenschaftlich dabei sein und den Mut haben, zu scheitern.“ Dieselbe Leidenschaft erwartet er auch von den Fotografinnen und Fotografen: „Man muss das Gespräch führen und nicht nur Newsletter rausschicken. Ich finde es wichtig, dass man sich trifft – bei Portfolio Reviews, auf Fotofestivals –, man braucht ein offenes Ohr, nicht nur offene Augen.“

Mehr Zeit, ein offener Austausch zwischen Fotografinnen und Fotografen und Redaktionen sowie mehr Mut für konzeptionell gedachte Bilder – das sind die Wünsche, die Julia Steinigeweg, Kerstin Mende und Michael Pfister abschließend formulieren, damit Innovationen genügend Raum bekommen und Bilder die Wertschätzung erhalten, die sie verdienen.

Haben Sie die Folgen 1 und 2 verpasst? Kein Problem. Hier finden Sie die drei Tea Time Talks zum #wertdesbildes noch einmal gebündelt. Ton ab!


Veröffentlicht am Wednesday, 18.08.2021 10:08
Kategorien: Thema des Monats DerWertdesBildes

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