Bauchgefühl-Training

 
Dienstag, 05.02.2019

Wir als Bildbeschaffer und Sie als Kunde haben ja hinsichtlich von Bildrechten eine ganz spezielle Sorge: Nur in den seltensten Fällen gibt es ein hundertprozentiges Richtig oder ein ausnahmsloses Falsch. Die Fragen zu auf Bildern abgebildeten Personen sind vielseitig: Darf ich dieses eine Bild tatsächlich für diesen einen Facebook-Post nutzen? Darf dieses Mitarbeiterfoto in die Stellenanzeige, auch wenn es nur fürs Intranet gemacht wurde? Und dann gibt es noch das Parade-Beispiel der Street-Photography: Als Bild in einer Ausstellung darf die Frau gezeigt werden, die nur im Vorbeigehen mitbekommen hat, dass jemand ein Foto machte – aber das große Plakat vor der Galerie mit eben diesem Motiv ist Werbung für die Kunst und damit genehmigungspflichtig.

Genauso knifflig sieht es häufig im Bereich Marken auf Bildern aus. Schon am Set stellt sich oft die Frage, ob eine sichtbare Marke Beiwerk ist oder weg muss. Eine gute Bildagentur retuschiert die Marke auf dem abgebildeten Turnschuh weg. Kein Swoosh mehr, keine drei Streifen. Wird aber der Geschäftsführer eines Unternehmens porträtiert, so muss die Marke seines Hemds nicht wegretuschiert werden und das Tragen einer Rolex führt höchstens zum Shitstorm, nicht aber zu einer Markenverletzung.


Foto: westend61/Josep Rovirosa

Die Kunst der Abwägung ist eine schwere: Wie viele Grautöne gibt es zwischen Schwarz und Weiß? Wer drei Anwälte fragt, erhält nicht selten fünf Antworten, die alle nicht rechtsverbindlich sind, weil am Ende des Tages ohnehin der Richter entscheidet. Damit sind wir im Bereich des sogenannten Case-Laws angekommen: Ein schluss-instanzliches Urteil gibt für einen speziellen Fall eine Richtschnur vor – und viele Richtschnüre sorgen hoffentlich für eine gute Grundlage für unser Bauchgefühl.

Abwägung lässt sich also üben. Und Inspirationen kann man sich ruhig auch mal aus angrenzenden Themengebieten holen – zum Beispiel aus jungen Bereichen, wo noch kräftig dazugelernt werden muss und die Lernkurve noch steil nach oben führt. Für den Lerneffekt kommt das Urteil aus Berlin gerade recht, mit dem die Influencerin Vreni Frost hinsichtlich dreier Instagram-Posts zurechtgewiesen wurde. Schleichwerbung oder nicht – so lautete die Frage. Ein Abmahnverein zog die Influencerin vor den Kadi, die erste Instanz entschied anders als die zweite – am Ende stand es zweimal „Schleichwerbung" gegen einmal „kein Problem". Worum aber ging´s?

Influencer starteten meist als ambitionierte Laien, die durch smarte Postings Follower sammelten, die wieder Follower generierten. Dieses Spiel – forciert durch Werbe-Erlöse bei YouTube – machte aus den jungen, smarten Selbstdarstellern plötzlich Profis, die Geld mit Produkt-Posts verdienten. Ein Schelm, der Böses dabei denkt – die Grundausbildung eines Influencers bestand nicht wirklich aus Kommunikationswissenschaften, BWL oder Presserecht. Der Begriff Schleichwerbung war so abstrakt wie die Zahl Super-8 oder das Bauchgefühl, dass man für einen Prank nicht unbedingt eine Sport-Tasche in eine Menschentraube werfen und rufen sollte: „Lauft lieber, wenn euch euer Leben etwas wert ist!" Junge Leute tun halt manchmal dumme Sachen. Und seit das Smartphone-Zeitalter angebrochen ist, können sie die Dummheiten auch der ganzen Welt zeigen.

Es kam, wie es kommen musste: Ein Abmahnverein verschickte knapp 200 Abmahnungen an Influencer, weil sie ihre Schleichwerbung nicht als Werbung markiert hatten. Einige Fälle gingen vor Gericht und parallel lernte die Gilde, dass Werbung auch als Werbung gekennzeichnet werden muss – also tut sie das jetzt auch. So wie auch die 22-jährige Vreni Frost. Denn im Mai 2018 hat eine Vorinstanz das Taggen von Markenartikeln in einigen ihrer Instagram-Beiträge als werblich angesehen, wenn das @Produkt oder die @Marke so im Bild und im Text ins Rampenlicht gezogen wird, dass der Leser motiviert wird, zu folgen, zu kaufen, toll zu finden, ohne dass ein redaktioneller Aspekt im Vordergrund steht. Egal, ob dafür bezahlt, das Produkt kostenlos zur Verfügung gestellt wurde oder ob sie als Influencer uneigennützig aus freien Stücken geschrieben hat, denn das kann der Leser im Zweifel nicht nachprüfen. Die Folge: Gegen die Abmahnwelle wehrten sich die empörten Influencer – und nun hat das Kammergericht Berlin der einstweiligen Verfügung gegen Vreni Frost widersprochen und das Urteil in Teilen zurückgenommen. Das neue Urteil: Redaktionelle Posts, in denen ein Influencer Marken verlinkt, mit denen er oder sie in keiner Kooperation steht, müssen nicht als Werbung gekennzeichnet werden.

Dieses Posting beurteilte das Kammergericht weiterhin als Werbung. Dieses ebenfalls. Die Begründung: Es sind keine redaktionellen Postings. Der Link zu den Unternehmen habe keinen erkennbaren Bezug zum Beitrag, der Absatz des Unternehmens werde gefördert. Skurril wird es, wenn man weiterdenkt: Ein @Tag ohne Bezugnahme zum verlinkten Unternehmen oder zur verlinkten Marke ist Werbung, ein Link mit zu positiver Bezugnahme ebenfalls. Der Grat zwischen „werblich" und „auch werblich" ist also schmal. Tatsächlich als „keine Werbung" beurteile das Kammergericht dieses Posting. Vreni Frost hat mittlerweile gehandelt und kennzeichnet alle drei Postings durch ein einfaches „[Werbung] #unbezahlt". Schon wird klar: Achtung, hier kommt Werbung, ich werde dafür aber nicht bezahlt. Sicher ist eben noch immer sicher, auch wenn es jetzt so aussieht, als ob Influencer-Posts per se Werbung wären.

Ob vernünftig oder absurd – nach den Urteilen herrscht Verwirrung unter Bloggern und Influencern, bei Privatleuten wie Unternehmen gleichermaßen. Klar: Sobald es eine bezahlte Gegenleistung gibt, ist mein Posting werblich. Wie aber sieht es mit Gratis-Produkten aus, die an keinerlei Bedingung geknüpft sind? Die sind ja auch in der Yellow Press nichts Neues. Wie euphorisch darf ich beispielsweise ein Foto von einem Produkt betexten, ohne abgemahnt zu werden? Ab wann ist ein Bildbeitrag redaktionell und ab wann eine Abmahnung gerechtfertigt? Hier sind wir wieder beim guten alten Bauchgefühl. Und das kann trainiert werden. Wir helfen dabei gerne weiter.

Ach ja: Achtung, „[Eigenwerbung] #unbezahlt" – Hier unsere aktuellen Seminar-Termine!


Veröffentlicht am Dienstag, 05.02.2019 08:02
Kategorien: Thema des Monats Influencer-Marketing Abwägung Schleichwerbung

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