Der Wert des Bildes: Blick in die Forschung
Lässt sich messen, ob wir ein Bild mögen oder nicht? Wo liegen Reibungspunkte zwischen Fotojournalismus und Unternehmensfotografie? Und ist der Begriff ‚Visual Storytelling‘ noch zeitgemäß? In der zweiten Folge unseres Gesprächsformats Tea Time Talk haben wir mit einer Kognitionswissenschaftlerin, einem Kommunikationswissenschaftler und einem Experten für Marketing und Branding über Bildverarbeitung in unserem Gehirn, Preisdumping in der Bilderbranche und über ihre Ideen gesprochen, den Bildern den Wert zurückzugeben, den sie verdienen.
Was macht überhaupt den Wert eines Bildes aus? Woraus setzt er sich zusammen? Jan-Oliver Hess beschäftigt sich als Speaker, Dozent und Berater bei BrainBrandedCommunication® mit Marketing und Kommunikation aus Sicht des Kunden. Für ihn entsteht der Wert eines Bildes nicht etwa durch den professionellen Herstellungsprozess, sondern dadurch, dass das Bild etwas darstellt und auslöst. „Dieser Impact, diese Wirksamkeit ist gerade in der Werbefotografie das Entscheidende. Es geht nicht darum, dass etwas schön oder originell ist, sondern es hat immer einen Zweck – sei es, um zu Kaufimpulsen zu verleiten oder schlichtweg, um Aufmerksamkeit zu generieren.“ Wobei Aufmerksamkeit für ihn weniger quantitativ als qualitativ ein Kriterium darstellt. Es gehe nicht darum, möglichst viele Likes für ein Bild zu generieren, sondern darum, eine Handlung hervorzurufen, beispielsweise ein Produkt zu verkaufen. „Ich habe noch von keinem Unternehmen gehört, das sich fragt: Womit können wir die meisten Menschen ansprechen, weil es gefällig ist?Man möchte hervorstechen, wiedererkannt werden. Ästhetische Gefälligkeit ist kein ausschlaggebender Punkt in Marketing- und Branding-Abteilungen. Ich würde auch davon abraten.“
Der Wert von Bildern und der Zwang zur Visualisierung
Wirkkraft spielt auch in der empirischen Ästhetik eine Rolle. Aus psychologischer Sicht setze sich der Wert eines Bildes aus drei Ebenen zusammen, erklärt Sophie Elschner, Kognitionswissenschaftlerin an der Universität Konstanz. Zunächst sei da die Frage nach den Eigenschaften eines Bildes. Hier spielen Aspekte wie die Komposition und der Bildaufbau eine Rolle. Als Zweites nennt sie die Frage nach dem Vorwissen, das der Betrachter mitbringt. Kenne ich den Stil des Fotografen? Bin ich sogar selber Fotografin? „Und dann gibt es noch die gesamtgesellschaftliche Ebene“, so Elschner. „Welcher Zeitgeist herrschte vor, als das Bild entstanden ist und welcher in der Zeit, in der es bewertet wird? In welchem politischen System und in welcher Kultur wurde es aufgenommen? Der Wert des Bildes setzt sich sowohl aus subjektiven als auch aus objektiven Kriterien zusammen.“
Aus fotojournalistischer Perspektive misst sich der Wert eines Bildes laut Kommunikationswissenschaftler Felix Koltermann daran, ob ein Bild einen journalistischen Sachverhalt oder ein Thema adäquat visuell darstellen kann und relevante Informationen vermittelt. Dazu gehöre für ihn auch das Zusammenspiel mit dem Co-Text – beispielsweise mit dem Artikel, der Überschrift oder der Bildunterschrift – sowie mit der Art und Weise, wie ein Bild in andere Zusammenhänge eingebunden sei. Den Spruch „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“ sieht er zumindest auf den Fotojournalismus bezogen als irreführend an: „Ich kann den Inhalt dessen, was ein Bild vermittelt, eigentlich immer nur dann verstehen, wenn ich den Kontext und letztlich auch den Text dazu habe. Zugleich brauche ich nicht für jeden Text zwangsläufig auch ein Bild.“ Insbesondere in Online-Redaktionen entstehe ein immenser Druck, wenn für jeden Artikel ein Bild gefunden werden muss. „Ich persönliche finde diese Entwicklung problematisch, denn sie führt zu Symbolbildern.“
Wie lässt sich messen, ob wir ein Bild mögen?
Bildverarbeitung ist in unserem Gehirn hierarchisch aufgebaut, sprich: Objektive Kriterien nimmt es als Erstes wahr. Interessant wird es, wenn man die Bildbetrachtung von Laien und Profis miteinander vergleicht. „Laien und Experten achten von Anfang an auf unterschiedliche Aspekte, wenn sie ihre Augen über Bilder gleiten lassen“, erklärt Sophie Elschner. „Experten bringen in der Regel ein großes Hintergrundwissen über das Foto mit. Sie entkoppeln ihre Emotionen stärker von der Betrachtung des Bildes und konzentrieren sich eher auf Aspekte wie beispielsweise die Bildkomposition.“ Und wie lässt sich empirisch messen, ob jemand ein Bild mag? „Es gibt verschiedene sogenannte behaviorale und neuronale Techniken. Eine behaviorale Technik ist es zum Beispiel, wenn ich einem Probanden einen Fragebogen vorlege und danach frage, wie stark er ein Bild auf einer Skala von 0 bis 100 mag. Man kann auch herausfinden, wie schnell jemand ein Bild verarbeitet, indem man misst, wie schnell der Mausklick nach einer Frage erfolgt.“ Mit Techniken wie dem EEG oder der funktionellen Magnetresonanz-Tomografie kann die Forschung zudem herausfinden, welche Hirnareale bei der Verarbeitung eine Rolle spielen. „Wir können aber auch mittels Eye-Tracking feststellen, wohin jemand beim Betrachten eines Bildes schaut.“
Ist der Begriff des Visual Storytelling zeitgemäß?
Elschner, die sich insbesondere mit empirischer Ästhetik und Aufmerksamkeitsforschung beschäftigt, hat zudem eine einfache Erklärung dafür, warum Unternehmen immer mehr auf Visual Storytelling zurückgreifen, also dem Erzählen von Geschichten mithilfe von Bildergalerien, Videos oder auch Instagram-Stories. „Geschichten sind für uns leichter zu verarbeiten. Wir können sie besser mit unseren individuellen Erlebnissen abgleichen als mit abstrakten Informationen.“ Bildgeschichten nutzen, um Informationen zu transportieren – anscheinend kein bloßer Hype, sondern wissenschaftlich untermauert. Nicht verwunderlich also, dass der Trend, Themen in Fotogeschichten statt in Einzelbildern zu erzählen, auch im Marketing Einzug gehalten hat. „Das Tolle am Storytelling ist, dass es der Art und Weise des Menschen entspricht, Wissen weiterzugeben“, ist Jan-Oliver Hess überzeugt. „Es ist uns vertraut. Wir können es in unseren eigenen Lebenskontext einbauen und das Relevante für uns ausschmücken.“ Doch es gibt auch Kritik an der vermehrten Praxis des Visual Storytelling. Felix Koltermann, der derzeit ein Post-Doc Forschungsprojekt über den Wandel bildredaktioneller Praktiken im digitalen Zeitungsjournalismus an der HS Hannover leitet, sieht den Begriff nicht trennscharf behandelt. „Der Begriff wird wortgleich benutzt in Werbung, PR und Journalismus. Natürlich ist es gut und spannend, mit Bildern Geschichten zu erzählen, aber es ist sehr wichtig, dass sich die einzelnen Bereiche voneinander abgrenzen. Und nicht jedes Thema lässt sich in einer Geschichte erzählen.“ Ein Reibungspunkt zwischen Fotojournalismus und Unternehmensfotografie. Immer mehr Fotografinnen und Fotografen, die zunächst rein im fotojournalistischen Bereich tätig waren, nehmen Aufträge im Bereich Corporate oder Marketing an. Der Grund: schlecht bezahlte Aufträge, große Konkurrenz, Preisdumping.
Was lässt sich gegen das Preisdumping auf dem Bildermarkt tun?
Allen Diskussions- und Reibungspunkten zwischen Fotojournalismus und Marketing zum Trotz – wenn es um die Abwärtsspirale bei den Fotohonoraren geht, sind sich Jan-Oliver Hess und Felix Koltermann einig: Die Preis-Dumping-Philosophie muss dringend nicht nur infrage gestellt, sondern abtrainiert werden. „Wer diese Preisspirale nach unten bzw. diesen Kampf mitmacht, der verzögert letztlich nur sein Sterben“, urteilt Hess. „Da hat die Branche selbst Schuld. Auf dem Agenturmarkt und im Marketing hat es jahrelang kein Rückgrat gegeben. Man hat unterpreisige Angebote gemacht, um die Konkurrenz auszustechen. Dass das nicht funktioniert, belegt auch die Wissenschaft.“ Er sieht auch die Fotografinnen und Fotografen in der Verantwortung. „Viele machen sich zu klein, anstatt überzeugend darzustellen, dass sie entscheidend dazu beitragen, Ziele des Unternehmens zu erreichen. Ich weiß, es ist hart, aber man darf sich nicht auf dieses Billigheimertum einlassen, man muss standhaft sein und zusammenhalten.“ Auch die Agenturen und Marketingabteilungen können maßgeblich dazu beitragen. „Nur weil ein Bild günstig und schnell zu haben ist, ist es in der Regel nicht auch gleich gut.“
Auch Felix Koltermann ist der Meinung, Preisdumping sei sowohl unter Fotojournalisten als auch in professionellen Agenturen zu verurteilen: „Es geht letztlich darum, die eigene Arbeit nie unter Wert zu verkaufen. Deswegen ist es wichtig, dass sich Fotojournalist*innen organisieren. Dass sie in den entsprechenden Institutionen versuchen, Untergrenzen oder überhaupt Honorarempfehlungen festzulegen. Dass die Verbände und Gewerkschaften dafür eintreten. Wir haben einen Markt, auf dem freie Fotojournalist*innen miteinander konkurrieren. Da ist es wichtig, dass es eine gewisse Unterscheidbarkeit gibt, also Spezialisierungen oder Fokussierungen auf Themen.“
Sophie Elschner bescheinigt uns eine Art Tunnelblick, wenn es um Preisdumping, Rabatte und Kostenlosmentalität geht. Laut Studien bevorzugen wir kostenlose Dinge selbst dann, wenn sie eine mindere Qualität haben. „Es gibt Studien, in denen man Probanden billige und teure Schokolade vorsetzt: die billige gibt es für 1 Cent, die teure für 1 Euro. Die meisten wählen die teure. Im zweiten Durchgang macht man die billige 1 Cent billiger, also kostenlos. Die teure macht man 13 Cent billiger. Dann steigen viele von der teuren auf die billige Schokolade um. Etwas kostenlos zu bekommen ist sehr belohnend. Das Gleiche passiert vermutlich beim Bildeinkauf.“ Elschner sieht den Schlüssel in der Bildung. Schon in der Ausbildung sollten Fotografinnen und Fotografen lernen, bessere Preise zu verhandeln. „Das inkludiert auch, dass wir Menschen zu Bildliteraten erziehen. Und warum nicht beim Gesetzgeber anfangen und schauen, ob sich nicht Mindestlöhne für Bilder festlegen lassen?“
Eine Idee, die Koltermann sehr charmant findet. Er wünscht sich, dass Medien vermehrt wieder über Redaktionsfotografen nachdenken, die für eine individuelle Bildsprache sorgen. „Wenn ich nicht wie alle großen Medien Agenturbilder nutze, kann ich einen journalistischen Mehrwert schaffen – und einen Mehrwert als Marke.“ Und der Geheimtipp von Jan-Oliver Hess? „Wir Menschen schätzen nur das Wert, was für uns von Relevanz ist. Und um diese Relevanz müssen wir kämpfen.“
Visuelle Medienkompetenz, ein geschärfter Blick für den Wert von Bildern sowie der Mut, für die eigenen Preise einzustehen (Fotograf/innen) bzw. angemessen für Bilder zu bezahlen (Medien/Unternehmen) – drei Lösungsansätze, bei denen sich der Kommunikationsforscher, die Kognitionsforscherin und der Experte für Marketing und Branding einig sind. Machen wir was draus!
Ihre Bildbeschaffer
Den Mitschnitt des zweiten Tea Time Talk werden wir demnächst veröffentlichen.
Die Teilnehmer des zweiten Tea Time Talk der Bildbeschaffer zum #derwertdesbildes waren:
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